Übergangsprozesse in Deutschland und Kolumbien - Das Deutsch-Kolumbianische Seminar 2017

von Paula Castro und Daniel Schönfelder

Seit 1999 gibt es ein rechtswissenschaftliches Austauschprogramm der Universitäten Santo Tomás, Bogotá und Konstanz. Das Programm wird auf deutscher Seite von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Ibler und auf kolumbianischer von Herrn Prof. Mauricio Torres, LL.M. geleitet. In diesem Jahr und den nächsten Jahren drehen sich die akademischen Aktivitäten um Rechtsfragen des kolumbianischen Friedensprozesses und vergleichbare Fragen der deutschen Rechtsgeschichte. Im März und im Juni 2017 fand das Seminar „Rechtstaatliche Bedingungen einer Sondergerichtsbarkeit“ in Bogotá, Tunja, Konstanz und München statt. Im März reisten vier deutsche Studierende und drei Doktorand(inn)en mit Prof. Ibler nach Kolumbien und hielten dort Vorträge, im Juni kamen sieben kolumbianische Studierende mit ihren Professoren Mauricio Torres und Dr. Diego Higuera zu Vorträgen nach Konstanz. Seminarsprache war hauptsächlich Spanisch und teilweise Deutsch. Das Programm wurde auf deutscher Seite vom International Office der Universität Konstanz und vom Verein der Ehemaligen der Universität Konstanz gefördert.

I. In Kolumbien

Der Aufenthalt in Kolumbien fand je zur Hälfte in Bogotá und in Tunja statt. In Bogotá waren die deutschen Seminarteilnehmer (innen) in den Familien der kolumbianischen Teilnehmer untergebracht. Uns Deutschen wurde ein abwechslungsreiches Programm geboten: akademische Veranstaltungen, Besuch von staatlichen Einrichtungen und Freizeit. An der Universität Santo Tomás hatten wir die Gelegenheit, interessierten Studierenden und Lehrenden unsere Seminararbeiten in Vorträgen und Diskussionen zu präsentieren. Besonders erfreulich war, dass wir an der Universität Santo Tomás mit Magisterstudenten des Masterstudiums im öffentlichen Recht ins Gespräch kommen konnten. Es überrascht und erfreut immer wieder, wie sehr die kolumbianischen Juristen an Fragen des deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrechts interessiert sind. Unsere Themen eigneten sich auch besonders gut für spannende Diskussionen: Vom Grundgesetz als Instrument der Abkehr vom Nationalsozialismus, über Fragen von Amnestie und Vergangenheitsbewältigung bis zu aktuellen Entwicklungen im Verfassungsschutzrecht waren viele Themen dabei, die an Grundfragen der deutschen Gesellschaftsordnung rührten. Hervorzuheben ist, dass trotz anderer Rechtstradition und anderer rechtlicher Regelungen immer eine äußerst konstruktive Diskussion zustande kam. Im Dialog über die Rechtsordnungen hinweg, der wegen vieler Gemeinsamkeiten und einem ähnlichen Verständnis auch gut funktioniert, konnten wir unsere eigene Rechtsordnung und die kolumbianische in ihrem jeweiligen sozialen Kontext reflektieren. Im Anschluss besuchten wir Institutionen wie das kolumbianische Justizministerium, die Sonderstaatsanwaltschaft für den Friedensprozess oder die kolumbianische Armee und bekamen so interessante Einblicke in die aktuellen Herausforderungen. Highlights waren weiter eine Tanzstunde mit echter kolumbianischer Profitänzerin, Clubben und Paartanz in Bogotá, im Bus „Transmilenio“ zu fahren wie Ölsardinen und natürlich die berühmte kolumbianische Gastfreundschaft. In der Stadt Tunja waren wir wiederum bei Austauschpartnern untergebracht. Hier standen das akademische und das Freizeitprogramm im Vordergrund. Unsere Vorträge wurden in Tunja wurden in einen Kongress der Universität Santo Tomás eingebunden, so dass wir vor Publikum von über 150 Menschen sprechen konnten. Außerdem konnten wir die Vorträge und Diskussionen der kolumbianischen Professoren und anderer Referenten besuchen, was uns einen tiefen Einblick in die Zusammenhänge des Friedensprozesses ermöglichte. Die Freizeit war hervorragend durch das International Office der USTA Tunja organisiert. Wir wurden in gute Restaurants und Hotels eingeladen. Ein Professor der Rechtsgeschichte, Jorge Varcalcel, führte uns durch die Stadt und informierte uns über Geschichte, Tradition und Kultur der indigenen Bevölkerung und über die katholische Kirche in Tunja. An den nächsten zwei Tagen konnten wir Villa de Leyva, ein Dörfchen im schönsten Kolonialstil in malerischer Landschaft, besuchen. Wir waren sehr beeindruckt, mit welcher Professionalität die Leiterin des International Office der USTA Tunja, Frau Laura Mesa, unseren Besuch organisiert hatte. Im Anschluss an das offizielle Programm in Bogotá und Tunja reisten wir Deutschen noch auf eigene Initiative durch Kolumbien, unter anderem an die Karibikküste zur Ciudad Perdida, einem Ort, der erst nach mehrtägiger Dschungelwanderung erreicht werden kann. Es folgte extremer Outdoorsport in Ibagué, wo wir uns von Wasserfällen abseilten. Man kann in Kolumbien allerdings auch einfach faul am Strand liegen. Kolumbien ist ein Land zum Verlieben.

II. In Deutschland

Im Juni setzten wir unser gemeinsames Seminar mit akademischen und kulturellen Veranstaltungen in Konstanz und München fort. Am ersten Tag führte Herr Codrin Timu, LL.M. unsere kolumbianischen Gäste durch einen Vortrag in das politische System Deutschlands ein, danach besuchten wir die Stadtverwaltung von Konstanz und trafen uns mit dem Sozialbürgermeister Herrn Andreas Osner. Auf diese Weise gewannen die kolumbianischen Teilnehmer einen ersten Einblick in das Staatswesen der Bundesrepublik, die Wichtigkeit der politischen Parteien bei Entscheidungsprozessen im föderalen System und in die kommunale Selbstverwaltung. Die folgende historische Stadtführung informierte über die Konstanzer Geschichte. Der Tag endete fröhlich beim Abendessen im Brauhaus mit „Haxe satt“. Die Vorträge der kolumbianischen Gäste füllten zwei volle Tage. Das Generalthema, die Übergangsjustiz, wurde unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten beleuchtet. Es gab eine Einführung in die Geschichte des bewaffneten Konflikts in Kolumbien, es wurden das Zusammenwirken von Übergangsjustiz und ordentlicher Gerichtsbarkeit untersucht, die Rolle der Privatwirtschaft, die menschenrechtlichen Grenzen der Übergangsjustiz, sowie die Beteiligung von indigener und junger Bevölkerung am Friedensprozess. An den engagierten und freundschaftlichen Diskussionen nahmen kolumbianische, spanische und deutsche Lehrende sowie Studierende und Doktorand(inn)en beider Partneruniversitäten teil, und trugen durch ihre Beiträge zu der Überzeugung bei, dass es zum Friedensprozess in Kolumbien keine Alternative geben darf. Ergänzend informierte Herr Benjamin Budke unsere kolumbianischen Gäste über die Studienmöglichkeiten (LL.M. sowie Gaststudierender) an der Universität Konstanz. Anschließend präsentierten die zurzeit an der Universität Konstanz studierenden Kolumbianer persönlichen Erfahrungen und interkulturellen Herausforderungen. Im direkten konnten Vorteile und Aspekte des Studiums in Deutschland erklärt werden, sowie Tipps zu Stipendien gegeben werden. Beim kulturellen Begleitprogram lernten wir am Wochenende in Meersburg die mittelalterliche Burg kennen. Prägend war der Eindruck, wie es den Erbauern gelungen war, durch die Architektur ihre Macht auszudrücken: So befand sich direkt neben dem Empfangssaal des damaligen Burgherrn das Verließ, damit die Gäste wussten, dass ihr Gastgeber Macht über sie hatte. Auf der nächsten Kurzreise lernten wir mit Straßburg eine Stadt kennen, die durch ihre Geschichte sowohl von deutschen als auch von französischen Einflüssen kulturell geprägt ist. Ein weiterer Glanzpunkt des Seminars war die gemeinsame Busreise nach München. Sie galt vornehmlich Museen und Institutionen mit dem Schwerpunkt Geschichte und Nachwirkungen des Nationalsozialismus, vom Aufstieg der NSDAP bis zur Nachkriegszeit mit der Aufarbeitung und Entnazifizierung von Verwaltung und Politik. In einer Diskussions- und Fragerunde brachte uns hier Herr Niels Weise anschaulich die Herausforderungen der NS Aufarbeitung näher. Im bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz informierten wir uns über die gegenwärtige Überwachung rechtsextremer Akteuren und deren Organisation und Profil. Weiter besuchten wir den bayerischen Landtag, wo uns der ehemalige Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, der Landtagsabgeordnete Schindler, ausführlich über dessen Arbeit berichtete. Abschließend besichtigten wir das KZ Dachau, das dem NS Regime als Modell für weitere Konzentrationslager gedient hatte. Dort konnten wir viel Erschreckendes über das Lager, seine Organisation, seine Geschichte während der NS Zeit, sowie über die Geschichten seiner Opfer lernen. Der Besuch in Deutschland war eine Reise, auch in die Vergangenheit, die unseren kolumbianischen Gästen erlaubte, juristisch und historisch die Überwindung der NS-Zeit zu studieren.